Wenn die Wogen hochgehen: Wie geht man mit Kritik im Social Web um?

14. Juli 2015
Wer auf die Vorteile von Facebook, Twitter und Co setzt, um mit Kundinnen und Kunden zu kommunizieren, ist auch Kritik ausgesetzt. Der Sturm der Entrüstung kann einem manchmal heftig um die Ohren wehen und kräftig ins Gesicht blasen. Wie sich die Wogen wieder glätten lassen, wie man am besten auf Kritik reagiert und welchen Sinn ein Krisenplan macht, wollen wir von Michael Wildling wissen.

Was sind die häufigsten Auslöser von Empörung, wie entsteht eine „Empörungswelle“? Worauf reagieren die Menschen besonders sensibel?
Gerade Social Media-Krisen zeichnen sich durch ihren individuellen Verlauf aus. Das heißt, sie sind oft nur sehr schwer miteinander vergleichbar und müssen im Einzelfall betrachtet werden. In der Regel haben aber auch Empörungswellen im Social Web ihren Ursprung im Offline-Verhalten des Unternehmens. Empirische Studien haben beispielsweise ergeben, dass für mehr als die Hälfte der Online-Krisen zwei wesentliche Auslöser-Szenarien verantwortlich waren: Entweder eine negative Kundenerfahrung mit dem Produkt bzw. dem Service oder andererseits unethisches oder unmoralisches Verhalten des Unternehmens.

Kann und soll man Vorkehrungen treffen, also quasi einen Krisenplan haben, um im Fall des Falles gut gerüstet der Kritik gegenübertreten zu können? Können ein Verhaltenskodex, eine Netiquette hilfreich sein?
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Prävention ist das beste Krisenmanagement. Das gilt nicht nur bei Offline-, sondern noch viel mehr bei Online-Krisen. Viele potenzielle Krisen lassen sich bei entsprechender Vorbereitung noch vor deren Ausbruch im Keim ersticken. Aber auch wenn die Krise tatsächlich akut wird, ist eine gute Vorbereitung unersetzlich. Gerade im Social Web gilt es schnell und vor allem richtig zu reagieren. Gerade dann ist es mehr als nur nützlich, wenn man Sprachregelungen, Tonalität, etc. in der Hinterhand hat und nicht erst durch mühsame Freigabemechanismen gehen muss. Zusätzlich sollten wesentliche Abstimmungsprozesse schon im Vorfeld definiert sein, damit im Krisenfall effizient gehandelt werden kann. Ein Verhaltenskodex oder eine Netiquette kann im Umgang mit kritischen Postings Leitlinien vorgeben. Eine Krisen-Kommunikationsstrategie können sie aber nicht ersetzen.

Ganz wichtig, so hört und liest man, ist es schnell und richtig zu reagieren. Wie geht man mit der Krise also richtig um und was ist eine angemessene Reaktionszeit? Was sollte man keinesfalls machen?
Für die richtige Krisenkommunikation gibt es aus der Sicht des Unternehmens drei Schlüsselfaktoren: Readiness (auf Krisenfälle vorbereitet sein, um schnell reagieren zu können), Interdisziplinarität (hochgradig organisiertes Zusammenarbeiten von unterschiedlichen Experten unter Zeitdruck) sowie Klarheit in der Kommunikation (stringent, verständlich und zeitnah).

„Die richtige Reaktionszeit kann von Krise zu Krise variieren. Ideal wäre aber jedenfalls innerhalb einer Stunde.“

Auch wenn das Tempo im Social Web enorm hoch ist, sollte man keinesfalls überhastet oder mit Halbwahrheiten bzw. ohne notwendige Hintergrundinformation reagieren. Viele Beispiele zeigen, dass derartige Verhaltensweisen die Krisensituation oft noch zusätzlich anheizen.

Sind Entschuldigungen von Unternehmensseite angebracht? Ist Humor ein wirksames Mittel, um die Wogen zu glätten und Kompetenz im Krisenmanagement zu zeigen?
Wie bereits angesprochen sind Krisen ungemein vielfältig und individuell. Ein Patentrezept gibt es nicht. Ob eine Entschuldigung notwendig oder angebracht ist, muss im jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Auch Humor kann helfen – muss er aber nicht. Gerade in Situationen, in denen eher Mitgefühl oder wirkliche Kritikfähigkeit gefordert sind, kann eine zu humoristische Herangehensweise auch nach hinten losgehen.

„Prinzipiell gilt: Kommunizieren Sie aktiv, kontinuierlich, transparent und vor allem empathisch. Wer versteht, worum es den Kritikern im Kern geht, kann auch bestmöglich darauf reagieren.“

Darf oder soll man Beschimpfungen (kommentarlos) löschen?
Lange Zeit galt die Regel, dass im Social Web nichts gelöscht werden darf. Diese Ansicht halte ich für veraltet. Ich unterscheide prinzipiell zwischen zwei Arten von Postings: Jene, die sachliche Kritik anbringen und in deren Tonalität man erkennen kann, dass sie an einem Dialog mit dem Unternehmen interessiert sind, sollte man keinesfalls löschen. Hier gilt es vielmehr den Dialog schnellstmöglich zu eröffnen und sich aktiv mit dem Anliegen auseinanderzusetzen. Jene hingegen, die nur Verunglimpfungen oder Beschimpfungen loswerden möchten, kann man mit einem dementsprechenden Hinweis löschen. Gut ist es natürlich, wenn man schon von Anbeginn einen klaren Verhaltenskodex eingeführt hat, auf den man sich in derartigen Situationen berufen kann. In der Herangehensweise sehe ich durchaus eine Analogie zum realen Leben: Wenn jemand sachlich kritisiert, dass mit dem Produkt etwas nicht in Ordnung ist, wird man sich jedenfalls mit ihm und dem Problem auseinandersetzen. Wenn jemand aber nur schimpft, wird man auch im realen Leben einfach vorbeigehen.

Gibt es Branchen, die für soziale Krisen anfälliger sind als andere?
Ein Unternehmen, das kein Krisenpotential hat, gibt es aus meiner Sicht nicht. Die Frage der Anfälligkeit würde ich aber nicht auf die Branche reduzieren. Klar ist nur, dass jene Unternehmen, die rein im B2B-Bereich tätig sind, natürlich weniger anfällig sind, nachdem ihnen der direkte Kontakt zum Konsumenten fehlt. Aber auch für diese gibt es zahlreiche Szenarien, durch die eine Krisensituation im Social Web entstehen könnte.

Man hört immer wieder, dass Firmen einen Shitstorm provozieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Kann das wirklich funktionieren?
Gefllt mir nichtEines vorweg: Persönlich mag ich das Wort „Shitstorm“ nicht sonderlich. Ich halte das für einen extrem gehypten Begriff, den viele völlig falsch verwenden. Heutzutage spricht ein Unternehmer ja schon von Shitstorm, wenn er drei kritische Postings auf seiner Page hat. Das ist aber von einem Shitstorm, so wie ich ihn definieren würde, meilenweit entfernt. Ein wirklicher Shitstorm schädigt die Reputation eines Unternehmens nachhaltig. Dementsprechend kann ich mir nicht vorstellen, wie das einem Unternehmen helfen soll. Ich glaube, viele meinen in diesem Zusammenhang eher das, was in der Fachliteratur oft „Brouhaha“ genannt wird. Sozusagen der kleine Bruder des Shitstorm: Es gibt zwar eine kritische Auseinandersetzung der Netz-Gemeinde mit dem Thema, dies ist aber zeitlich begrenzt und greift nie nachhaltig in die Reputation des Unternehmens ein. Hier könnte ich mir schon vorstellen, dass manche Unternehmen das für den Bekanntheitsgrad aktiv einsetzen möchten. Ich persönlich würde aber keinem meiner Kunden dazu raten. Dafür halte ich den Grat zwischen „Brouhaha“ und wirklicher Krise für zu schmal. Nur ein falscher Schritt und der Schuss geht nach hinten los.

Kennen Sie gute Beispiele, wie Firmen mit Entrüstung und Empörung ihrer Kundinnen und Kunden umgegangen sind?
Auch wenn das Beispiel schon etwas älter ist, so muss ich es trotzdem hier nennen: Dominos Pizza. Das war sicher eine der ersten großen Social Media Krisen in den USA und wurde vom Unternehmen ausgezeichnet gelöst. Die Geschichte war simpel: Zwei Mitarbeiter von Dominos Pizza (einer großen amerikanischen Pizza-Kette) machten ein Video, in dem sie sich u. a. Käse in die Nase steckten und danach die Pizza damit belegten und stellten es auf YouTube. Das Video verbreitete sich wie ein Lauffeuer und die Entrüstung der Kunden war riesig. Bereits 24 Stunden später konterte Dominos Pizza mit einem Video des CEO, indem er erstens Verständnis für die Entrüstung zeigte und mitteilte, dass das betreffende Restaurant inzwischen für eine Komplett-Reinigung geschlossen und die betreffenden Mitarbeiter bereits entlassen wurden. Dominos hat hier alles richtig gemacht: Schnell und aktiv reagiert, sympathisches und vor allem empathisches Auftreten sowie direkte Kommunikation des Vorstandsvorsitzenden. Vor allem aber hat man verstanden, dass man die Kritiker dort abholen muss, wo sie sind. Nämlich mittels Video auf YouTube. Ein ähnliches Beispiel wäre Burger King in Deutschland. Auch dort hat man durch fast schon überbordende Aktiv-Kommunikation im Social Web die Kritiker verstummen lassen.

 

Wildling Michael-neuMICHAEL WILDLING: Der Kommunikationsberater und Jurist ist Managing Partner von MEMENTO. Davor war Wildling als Pressesprecher im Wirtschafts- und Bildungsressort der Stadt Graz und als Consultant in einer renommierten österreichischen Strategieberatung tätig. Wildling betreut Kunden in den Bereichen Strategieentwicklung und der Umsetzung von Maßnahmen der crossmedialen Unternehmenskommunikation. Aufgrund seiner Ausbildung ist Wildling auf interdisziplinäre Fragestellungen der Litigation PR sowie auf den Bereich Krisenkommunikation spezialisiert. Er ist außerdem als Lektor am Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship der KF Universität Graz tätig. 

 

BIRGIT DERLER-KLEIN

Fotos: Fotolia.com/Nomad_Soul, Fotolia.com/Spiber.de, Fotolia.com/buyman, Michael Wildling

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