Story? – Tell it!

12. März 2015
Als vor ca. zehn Jahren der Begriff „Storytelling“ im deutschen Sprachraum neu aufkam, klang er für mich wie eine weitere dieser Augenauswischereien, die dem denglischen Großsprech-Kasten von Marketingfuzzis entnommen schienen, und die oftmals zu 120 Prozent aus heißer Luft bestehen.

Mittlerweile unterrichte ich Storytelling an den Studiengängen „Journalismus und PR“ sowie „Public Communication“ an der FH JOANNEUM und habe mich eines Besseren belehrt: Storytelling in Journalismus, Werbung und PR ist nichts anderes als die Aufbereitung von Informationen nach erzähltechnischen Kriterien, um das Leserinteresse zu wecken, zu steigern oder zu halten. Leider gibt es keinen sexy deutschen Ausdruck dafür, denn „Geschichten erzählen“ trifft es zwar so halbwegs, hat aber im Deutschen auch die Bedeutung „lügen, schwindeln“, und diese Konnotation möchte man gerade im Kontext von Journalismus und PR tunlichst vermeiden.

Der Mensch ist des Menschen Story

Storytelling also rückt die handelnden oder betroffenen Personen eines berichtenswerten Ereignisses in den Mittelpunkt, weil es für Menschen nichts Interessanteres gibt, als etwas über andere Menschen zu erfahren. Jede gute Reportage, jeder gelungene Werbespot funktioniert nach diesem Prinzip – und das schon lange, bevor man dazu „Storytelling“ sagte: Nicht die Wirkstoffe eines Waschmittels sind interessant, sondern die Hausfrau, die damit die Grasflecken aus dem blütenweißen Fußballshirt des Sohnes waschen kann, ist die Story. Dass dieser Geschichtentypus bis heute im deutschen Werbefernsehen überlebt hat, beweist, wie wirksam selbst einfallsloses Storytelling ist.

Die fundierten literaturwissenschaftlichen Kenntnisse, die ich mir anno dazumal an der Germanistik der Uni Graz angeeignet habe, erweisen sich beim Vermitteln von Storytelling an der FH nun als Vorteil: Erzählperspektiven, Erzählverläufe, Erzählstrategien – all das kann einen dabei unterstützen, die für das jeweilige Thema optimale Geschichten-Struktur zu finden. Das Um und Auf ist aber das Gespür dafür, was überhaupt eine Geschichte ausmacht. Und das hat seit jeher immer auch mit Konflikten, Schicksalsschlägen oder der Überwindung von Hindernissen zu tun. Und wenn es nur das Hindernis ist, Grasflecken aus einem T-Shirt zu bekommen.

Fakten-Porno statt Unternehmens-Story

Während Storytelling im Journalismus seit Jahrzehnten praktiziert wird und mittlerweile seinen Weg von den Wochenmagazinen in die Tageszeitungen gefunden hat, überwiegt in der PR und in technik-affiner Werbung noch vielfach die Mentalität des Fakten-Porno, bei dem möglichst detailliert Kenndaten eines Produktes in den Mittelpunkt gestellt werden. Hand aufs Herz: Wen lockt die Tatsache, das neue Smartphone von XY würde von einem Qualcomm-Prozessor angetrieben, wirklich hinterm Ofen hervor? Oder – noch absurder – das „innovative Anti-Aging-System“, mit dem Haarshampoos und andere Kosmetika beworben werden? Man will doch lieber wissen, wie cool man mit dem neuen Handy dasteht, oder wie blendend seidig das Haar nach der Wäsche auf die Schultern fällt, um sowohl in Fall A als auch Fall B anziehend auf das jeweils begehrte Geschlecht zu wirken. Oder um zumindest (im Fall des Handys) ruckelfrei am Smartphone surfen zu können.

Besonders heimische Klein- und Mittelbetriebe haben ein großes Entwicklungspotenzial, wenn es ums Storytelling geht. Die Verantwortlichen sind sich oft nicht bewusst, welche Geschichten in ihren Betrieben brachliegen. Meine „Story-Matrix“ kann hier Abhilfe schaffen, denn sie verdeutlicht, welche Storys aus den Betrieben für wen erzählt werden können.

Buchtipps zum Storytelling

storytelling fuer journalisten_coverAuch zwei Bücher kann ich aktuell zum Thema empfehlen: Uneingeschränkt „Storytelling für Journalisten“ von Marie Lampert und Rolf Wespe sowie mit Einschränkungen „Storytelling“ von Dieter Georg Herbst.

Lampert und Wespe vermitteln auf solide, praxisorientierte Weise, worauf beim Schreiben von Reportagen nach erzähltechnischen Gesichtspunkten zu achten ist. Sehr nützlich ist dabei vor allem das Kapitel über die Erzählverläufe, die anhand ausgewählter Beispiele einige idealtypische Strukturen von Geschichten erkennbar machen: von der chronologisch erzählten Story bis hin zur archetypischen Heldenreise.

cover_storytelling:

Etwas komplexer handelt Dieter Georg Herbst das Thema ab: Mit üppiger Theorie, garniert mit etwas Praxisbezug, führt er wortreich in die Grundlagen und höheren Weihen des Storytellings in der PR und Werbung ein. Leider geht Herbst dabei etliche Dinge komplizierter als nötig an, etwa wenn er empfiehlt, das psychologische Modell der Transaktionsanalyse in der PR-Planung zu berücksichtigen. Das ist zwar originell, aber nicht wirklich praxistauglich, weil man ohne den Umweg der psychologischen Modellierung viel leichter ans Ziel gelangt und für gewöhnlich weder in der Werbung noch in der PR die Zeit hat, den Dingen mit der Transaktionsanalyse auf den Grund zu gehen – noch dazu, wo der Mehrwert nicht erkennbar ist.

Dennoch sind Herbsts Ausführungen vor allem zur Planung von Storytelling-Kampagnen in der PR im Großen und Ganzen wirklich interessant – zu empfehlen allerdings nur jenen Menschen, die bereits fundierte Kenntnisse bzw. praktische Erfahrungen in der PR-Konzeption haben und die allzu ausführlichen Anleitungen im Buch von daher auch relativieren (und nach kritischer Sichtung guten Gewissens ignorieren) können.

 

MAG. WERNER SCHANDOR ist Autor und Leiter der PR-Agentur Textbox in Graz. Er unterrichtet Storytelling an den Studiengängen „Journalismus und PR“ sowie „Public Communication“ an der FH JOANNEUM Graz.

 

Beitragsbild: Tibi Vesselenyi/Shutterstock, www.textbox.at
Cover-Abbildungen: UVK Verlagsgesellschaft mbH, www.uvk.de

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