„Einen Liter Giraffe, bitte.“ Content in der Praxis

14. April 2015

In der Theorie ist klar, wie Content entsteht. Besser sichtbar wird es an einem Praxisbeispiel, da darf es auch ruhig eine Tierarztpraxis sein. Inszeniert und beschrieben von Markenregisseur Martin Aichholzer.

Storytelling, Content Marketing, Engaging – man kann es nennen, wie man will, immer geht es um Geschichten. Man hört ihnen gerne zu, man erzählt sie gerne weiter und wenn sie gut gemacht sind und den Kern des Unternehmens treffen, lässt sich der Erfolg am Umsatz messen. So passiert bei einem Tierarzt am Rande von Graz, der vor genau zwei Jahren neu eröffnet hat.

Die Vorgeschichte

Es war einmal ein Tierarzt in Klagenfurt, der arbeitete jeden Tag in einer fremden Ordination – jahrelang. Eines Tages beschloss er sich auf eigene Beine zu stellen und 140 Kilometer entfernt eine Tierarztpraxis für Haustiere zu eröffnen. Quasi Neuanfang. Doch in weiser Voraussicht stürzte er sich nicht auf das erstbeste leerstehende Objekt, sondern setzte eine Strategie um, Schritt für Schritt.

Da wurden Stärken formuliert und Schwächen gefunden, Wünsche gesammelt und Möglichkeiten erdacht. Bei gut zehn anderen Tierärzten im Einzugsgebiet war klar: fachlich gut, zuverlässig und ordentlich zu sein, würde einfach nicht reichen. Es brauchte das unerwartet Beeindruckende, um Kunden für sich zu begeistern. So wie beim Eiskunstlaufen: Man muss die „Pflicht“ erfüllen, um nicht disqualifiziert zu werden, aber gewinnen tut man erst mit einer fantastischen „Kür“. Doch was könnte die Kür bei einem Tierarzt sein? Wie so oft lag die Lösung gut verborgen direkt vor der Nase: Ein kinderfreundlicher Tierarzt. Mehr noch: Der erste familienfreundliche Tierarzt Österreichs. Eine authentische Positionierung, ist der Tierarzt doch selbst begeisterter Vater von vier Kindern. Und relevant ist sie auch, denn wie eine Recherche ergab, ist dies keine Nische, sondern das bislang unbeachtete Hauptsegment: Über 50 Prozent aller Haustiere leben in Haushalten mit Kindern.

Die Inszenierung

Jetzt war die Zeit reif für die Standortwahl. Familien mit Haustieren findet man am ehesten in der Vorstadt, ein Blick in die Statistikdaten führte klar in den Süden von Graz. Und am besten platziert man sich dort, wo man von vielen gesehen wird, in unserem Fall eine Hauptstraße mit 10.000 vorbeifahrenden Autos pro Tag. Daneben ein großer kostenloser Parkplatz und die Ordination selbst barrierefrei (= kinderwagentauglich) – inklusive Platz für einen Wickeltisch am WC, da staunen manche Kundinnen und Kunden noch heute.

Der Aufenthaltsraum musste Größe XXL und besonders hell sein, nur so bietet er nicht nur wartenden Tieren und ihren Besitzern Platz, sondern auch einer Kinderspielecke und einer Leihbibliothek. Kinder und Erwachsene können hier altersgerechte Tierbücher und Fachliteratur über das gesunde Zusammenleben von Kindern und Tieren ausleihen – und zuhause und mit Freunden darüber – und über den Tierarzt – sprechen.

Bereits vor der Eröffnung starteten gezielte PR-Maßnahmen. Notwendige Umbauarbeiten, koordiniert von einer Architektin, wurden via „Baustellen-Reportage“ in einer regionalen Zeitung begleitet. Und in zwei Printmedien wurden redaktionelle Kolumnen initiiert, in denen der Tierarzt Tipps für den gesunden Umgang mit Tieren gab.

Parallel wurde ein kommunikativer Anker gesucht – quasi ein Maskottchen, der den familienfreundlichen Kleintier-Tierarzt prägnant in Szene setzt. Ein Hund? Nein, zu offensichtlich und damit nicht spannend genug. Eine Giraffe musste her! Kinder lieben Giraffen und groß genug sorgen sie für einiges an Aufmerksamkeit. In diesem Fall für sechs Meter hohe Aufmerksamkeit direkt vor der Ordination neben der Bundesstraße. Realisiert von einem Künstler und seinem Team sorgt die lebensgroße, wetterfeste Giraffe für staunende Blicke, viel Gesprächsstoff und kostenlose PR. Zumal es ein steirischer Künstler war, der ohnehin seit 20 Jahren gemeinsam mit Kindern Tiere baut, am liebsten Giraffen, denn die haben von allen Landtieren das größte Herz. – Es stimmt schon, die schönsten Geschichten schreibt das Leben, man muss sie nur finden. Binnen zwei Wochen wusste jeder im Umkreis von drei Kilometern, wo die Giraffe stand und wer sie aufstellen ließ. Sie wurde zum fixen Orientierungs- und Treffpunkt in der Region, fast wie die Weikhard-Uhr am Grazer Hauptplatz.

Es folgten viele weitere Maßnahmen, die die Ordination ins Gespräch brachten:

+ Zum Eröffnungsfest mit umfangreichem Kinderprogramm kamen über 500 Besucher: Die Folge: Voll-Auslastung ab dem ersten Arbeitstag.

+ Ein Namenswettbewerb für die Giraffe via Facebook generierte über 20.000 Aufrufe der Tierarzt-Website und brachte ihr den Namen „Gismo“ ein.

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+ Für den süßen Genuss in der Ordination wurde die „Giraffenananas“ kreiert – eine original Zotter-Schokolade mit Gismo-Banderole, die sogar zu Bestellungen aus Norddeutschland führte.

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+ Und seit kurzem gibt es mit „Gismotivity“ ein eigenes Brettspiel für Kinder, bei dem diese spielerisch den sicheren Umgang mit Tieren lernen. Es liegt in der Region zum Kauf auf – und erzählt unermüdlich die Geschichte vom familienfreundlichen Tierarzt.

 

 

Als besonders wertvoll haben sich die eigens entwickelten Kinder-Tier-Workshops erwiesen. Hier werden mit Kindern die Besonderheiten von Tierarten erörtert und z. B. ein Kaninchenstall fachgerecht eingerichtet – echtes Kaninchen inklusive. Die Workshops finden nicht nur in der Tierarztpraxis selbst statt, sondern auch extern in Kooperation mit Kinderorganisationen, Familieneinrichtungen und Ausbildungsstätten.

Kleine Zeitung, Kronen Zeitung, ORF 2, Servus TV, Radio Steiermark, WOMAN, zahlreiche Fachmagazine und viele mehr haben bereits über den ersten familienfreundlichen Tierarzt Österreichs berichtet. Der freut sich freilich noch mehr über die zufriedenen Kunden – und die unzähligen von Kindern gebastelten Giraffen, die mittlerweile seine Ordination zieren.

Das Wichtigste: die Beziehung zum Kunden

Es stimmt, gute Geschichten können Aufmerksamkeit erzeugen – ja sogar dazu führen, dass Interessierte vorbeikommen und einen Versuch wagen. Doch eines ist klar: Wird wie im konkreten Fall eine Dienstleistung erbracht, zählt am Ende vor allem der persönliche Kontakt zwischen Kunden und dem Dienstleister. Könnte dieser hier nicht fachlich und menschlich überzeugen, würden die Kunden nicht wiederkommen und Ergebniszahlen wie im vorliegenden Fall (170 Prozent über Wunsch-Soll laut Businessplan) wären niemals möglich. Denn die besten Geschichten sind nicht die, von denen man gehört, sondern die, die man selbst erlebt hat. Persönlich und hautnah.

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MAG. MARTIN AICHHOLZER ist seit zwölf Jahren im Bereich Markenstrategie und Marketingoptimierung tätig und betreut als Der Markenregisseur Kunden aus allen Produkt- und Dienstleistungsbereichen, Schwerpunkt KMU .

 

 

 

Fotos: lichtbildnerei.at

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